Ab in den Bus
Nachdem Julia die Woche hinter sich gebracht hatte, hatte sie noch einen Tag Zeit, nämlich den Samstag, bis sie am Sonntag ins Camp fahren musste. Vielleicht hätte sie auch nicht gemusst, wenn sie sich nur ordentlich lange und nervig gestäubt hätte. Aber ihre Mama meinte es ja nur gut. Julia auch, deshalb tat sie ihrer Mama den Gefallen und fuhr ins Camp. Außerdem konnte das mit Jack zusammen ja auch nicht ganz so schrecklich werden. Aber den Samstag hatte sie noch und diesen Samstag wollte sie genießen. Sie begann ihn mit einem ausführlichem nussreichem Frühstück am Fensterbrett zusammen mit den Eichhörnchen. Es war noch duster draußen, denn es ging ja langsam auf den Winter zu, wenn auch noch Herbst war. Obwohl es so dunkel war, saß Julia mit den Eichhörnchen am Fenster. Ihre Mama schlief noch. Ihre Mama schlief immer sehr, sehr lange, deshalb frühstückten sie wohl auch am Wochenende normalerweise nie zusammen. Nach dem Frühstück schlich Julia auf Zehenspitzen durch die Wohnung, zog sich eine warme, dicke Daunenjacke an, schnappte sich den Schüssel, öffnete die Haustür leise, schloss sie auch wieder leise (das war aber immer ein schwerer Akt, da die Tür furchtbar quietschte) und schon war sie draußen. Vielleicht wäre es gar nicht nötig gewesen, dass Julia so leise war, denn ihre Mama schlief tief und fest, aber Julia dachte: Sicher ist sicher. Sie kletterte die Kastanie hinauf. Spielte Fangen mit den Eichhörnchen, sie summte mit den Eichhörnchen und tanzten mit ihnen durch den Baum. Gesummt und manchmal auch gesungen wurden volkstümliche Eichhörnchenlieder, wie "Eichhörnchen klein", "Das Wandern ist den Eichhörnchens Lust", "Schlaf Eichhorn, schlaf" (wenn sie ein Nickerchen halten wollten), "Zeigt her eure Pfötchen" und "Eichhörnchen in der Grube". Manchmal stritten die Eichhörnchen auch über die Herkunft ihrer Lieder. Besonders "Eichhörnchen in der Grube" war umstritten, da manch ein Nager behauptete die Eichhörnchen hätten es nur von den Hasen kopiert. Trotzdem wurden diese Lieder immer wieder gerne gesungen und Julia konnte sie alle auswendig. Bevor Julias Mama aufwachte, schlich sich Julia wieder in die Wohnung um sich danach wieder aus dem Staub zu machen. Denn ganzen Tag lungerte sie in der Kastanie rum, hätte ihre Mama mit offenen Augen aus dem Fenster gesehen, hätte sie Julia sehen können. Aber sie sah Julia nicht und war überzeugt, dass diese zu einer Schulveranstaltung gegangen war. Abends kam Julia kurz nach Haus um dem Abendessen beizuwohnen. Sich irgendeine Ausrede aus den Fingern saugend schaffte sie es wieder in den Kastanienbaum um dann ins Bett zu gehen, jedoch nicht ohne vorher gemeinsam mit Jack, Bob und Ilona ihren Koffer zu packen. Am nächsten Morgen wachte sie auf, streckte und reckte sich, ging ins Bad, putzte sich die Zähne. Heute stand sogar ihre Mama früh auf und sie frühstückten zusammen. Julia fand das so unnormal, dass es ihr fast unangenehm war. Ihre Mama lachte sie und versuchte sie aufzumuntern. Julia ihrerseits versuchte aufgeregt und positiv gespannt zu wirken. Innerlich war sie aber aufgewühlt und ängstlich und als sie im Auto ihrer Mama saß und diese sie zum Abfahrtort kutschierte, wurde ihr immer mulmiger, obwohl Jack sich vorsorglich in ihrem Rucksack deponiert hatte und ihr durchgehend aufmunternde Worte zuflüsterte. Auf dem Busbahnhof konnte Julia schon die anderen Kinder sehen, die alle aufgeregt und glücklich aussahen. Ihren Rucksack über Schulter, Jacks Geflüster im linken Ohr, Mamas Ratschläge im rechten und direkt vor sich ein Haufen gut gelaunter Kinder fühlte sich Julia beunruhigter als je zuvor. Wie sollte sie nur diese drei Tage überstehen? Eine Gruppenleitern mit viel zu langen Fingernägeln lachte sie an und sagte: "Dann bist du wohl die Julia, alle anderes sind schon da. Dann können wir ja jetzt abfahren! Los Kinder!" Die Kinder strömten in einem alten, roten Bus, alle fröhlich kreischend, manche gaben ihren Eltern vorher noch Abschiedsküsse, andere nicht. Julia ließ sich schlaff von ihrer Mama umarmen und trottete dann ablehnend auf den Bus zu. Im Bus lief sie bis ganz nach hinten durch, wo sie ganz alleine sitzen konnte. Die Kinder vorne schienen Spaß zu haben, einige waren untereinander schon vertraut. Julia ließ sich gegen die Lehne fallen und starrte aus dem Fenster. Als der Bus abfuhr, winkte ihre Mama ihr hinterher, Julia winkte nicht zurück. Sie wollte nicht unzufrieden wirken, aber Zufriedenheit wollte sie auch nicht zeigen, zumal sie nicht zufrieden war.
Jack blieb vorsichtshalber im Rucksack, obwohl niemand auf Julia achtete. Die Fahrt kam ihr furchtbar lange vor, als ob sie einen ganzen Tag gebraucht hätte, dabei dauerte sie nicht mal zwei Stunden. Jack munterte sie zwar immer wieder auf, aber trotzdem spürte sie Feigheit in sich. Sie war zu feige auch nur ein Wort an irgendeins der anderen Kinder zur richten, obwohl sie eigentlich Lust dazu hatte. Zum Beispiel hätte sie gerne Cleo angesprochen, ein ziemlich großen Mädchen, das die ganze Zeit lachte und sang und überhaupt sehr nett zu sein schien. Auch Molle weckte Julias Interesse. Sie war wohl bereits eine Freundin von Cleo oder die beiden hatten sich sofort ins Herz geschlossen. Sie wirkten wie ein Herz und eine Seele. Auch Danny wirkte freundlich. Er war aufgeschlossen und schien jegliche Kartenspiele und Tricks perfekt zu beherrschen. Viele andere Kinder erregten ebenfalls Julias Aufmerksamkeit. Doch andere fielen ihr auch gar nicht auf. Hoffentlich würde alles gut werden. Doch Jack war optimistisch. "Vielleicht findest du ja ein paar zweibeinige Freunde!", meinte er zuversichtlich.